Viele Hellenen schreckten auf, als sie aufgrund einer parlamentarischen Anfrage des früheren Ministers der Nea Dimokratia Dimitris Stamatis zufällig erführen, dass die staatliche Gesundheitsversorgung seit Neuestem für die Bewilligung von medikamentösen Therapien für Krebskranke zuerst eine Erklärung der Ärzte über die mögliche Lebenserwartung der Patienten verlangt.

Die Bürger sind verwundert, dass eine Gruppe von Unternehmern, die den Staat um mehr als 256 Millionen Euro prellte, glimpflich davon kam, weil den meisten „ein vor der Tat rechtstreuer Lebenswandel“ attestiert wurde. Während also eine Putzfrau des öffentlichen Dienstes ohne Abschluss der neunten Schulklasse wegen Fälschung des Abschlusszeugnisses und dem dadurch gewonnenen Gehalt von zwei Jahrzehnten Arbeit lebenslang erhielt, weil die Summe der Gehälter über 100.000 Euro lag, lautete die Höchststrafe beim Energa-HellasPower Skandal auf 21 Jahre. Von den 11 der 19 schuldig gesprochenen Angeklagten mussten nur drei in Haft. Die Führungsspitze der früheren privaten Elektrizitätsunternehmen hatte die mit den Stromrechnungen eingetriebenen Immobiliensteuern schlicht nicht an den Fiskus abgeführt, sondern auf Nummernkonten in der Schweiz überwiesen. Als der Schwindel aufflog, ging das aus den Einzelbetrieben Energa und HellasPower gebildete Gesamtunternehmen in die Insolvenz.

Mit großer Verärgerung erfuhren viele Hellenen, dass die Top-Manager des als privatisiertes, im Staatsbesitz befindliches Unternehmen betriebenen Stromnetzbetreibers ADMIE, die Privatisierung für sich selbst ausnutzten. Als privatwirtschaftliche Manager waren sie nicht an die Deckelung ihrer Gehälter gebunden. Sie genehmigten sich rückwirkend für ab Januar 2016 eine Gehaltserhöhung von dem staatlichen Höchstgehalt von 4.700 Euro auf 20.000 Euro pro Monat. Erst, als ihre Machenschaften aufflogen, sahen sie sich gemüßigt, ihren Rücktritt einzureichen. Die rückwirkende Gehaltserhöhung von insgesamt 20.000 Euro pro Person hatten sie jedoch bereits erhalten.

Auch Oppositionspolitiker „glänzt“ erneut mit obskuren Praktiken

Die Staatsanwaltschaft beschäftigt derweil die Anschuldigung der Wettbewerbsbehörde, dass gewisse – öffentlich nicht namentlich genannte – Abgeordnete im eindeutigen Interesse großer Unternehmen parlamentarische Anfragen gestellt haben sollen.

Die Wähler erfahren, dass die Hoffnungsfigur der konservativen Opposition, der Parteichef der Nea Dimokratia Kyriakos Mitsotakis eine Gesetzeslücke für die Verschleierung seiner Vermögensverhältnisse genutzt hat. Mitsotakis lebte über einige Jahre von seiner Ehefrau Mareva Grabowski getrennt. Über die Dauer der Trennung herrscht Verwirrung, weil beide Ehepartner unterschiedliche Zeitangaben machen. Als getrennt lebende Gattin sah sich Frau Grabowski nicht verpflichtet, die jährliche Vermögenserklärung ihres Gatten mit zu unterzeichnen. So blieb den Griechen verborgen, dass sie in der Zwischenzeit ein einst dem Philosophen Voltaire gehörendes Wohnhaus in Paris erwarb. Es sei dabei ein Fehler des Steuerberaters gewesen, dass Grabowski in der Zeit der Trennung von ihrem Mann mit dessen Steuernummer einen Vertrag mit der öffentlichen Hand abgeschlossen habe, hieß es in einer Erklärung des Ehepaars.

Premierminister Alexis Tsipras kann dennoch kaum von den Fettnäpfchen, in welche Mitsotakis regelmäßig tritt, profitieren. Er handelt vollkommen konträr zu sämtlichen vor seiner Amtsübernahme als heilige Ideologie präsentierten Standpunkten. So hatte SYRIZA vor knapp drei Jahren auf einen Besuch des damaligen Vizepremiers Evangelos Venizelos in der Ukraine mit dem Vorwurf reagiert, Venizelos würde durch seine Anwesenheit und den offiziellen Charakter des Besuchs die Neonazis in der ukrainischen Regierung legitimieren. Er sei somit ein williger Mittäter, der gegen die Interessen Griechenlands an guten Beziehungen zu Russland agieren würde. Am Mittwoch besuchte Tsipras selbst die Ukraine und begrüßte seinen dortigen Amtskollegen und die übrigen Regierungspolitiker mit dem Hinweis auf gemeinsame Interessen und dem Wunsch nach einer engeren Wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

Hoffnungsträger „To Potami“ vor politischem Konkurs?

Wenig ideologische Konsequenz sehen die Griechen aber auch bei den Oppositionsparteien. To Potami, eine frische sozialliberale Partei unter dem früheren Journalisten Stavros Theodorakis galt lange als Hoffnungsträger für eine europäischere Ausrichtung der Politik. Theodorakis hatte Intellektuelle aus dem linken, dem liberalen Lager und dem politischen Zentrum um sich geschart und war wenige Monate nach der Parteigründung 2014 und dem direkten Einzug von To Potami ins Europaparlament und im Januar 2015 ins nationale Parlament gekommen. Bei den vorgezogenen Neuwahlen im September 2015 konnte Theodorakis mit leichten Stimmverlusten immerhin noch elf Abgeordnetensitze für To Potami verbuchen. Von den Elf sind nunmehr nur noch sechs Parlamentarier in der Fraktion der Partei. Die übrigen zogen weiter zur Nea Dimokratia oder der PASOK. Einer, der frühere oberste Steuereintreiber Charis Theocharis brachte sogar das Kunststück fertig, eine eigene Partei zu gründen, und von dieser wegen unüberbrückbarer Differenzen ausgeschlossen zu werden.

Die dem nationalsozialistischen Lager zugeordnete Goldene Morgenröte verspricht ihren Wählern einen national gesinnten Kampf gegen das kapitalistische System, stimmt im Parlament jedoch für die Interessen der Oligarchen. PASOK und Nea Dimokratia äußern sich nun kritisch über den Sparkurs, haben diesen jedoch selbst von 2010, beziehungsweise 2012 bis 2015 maßgeblich selbst gestaltet.

Das, worüber die Griechen weder in den Medien noch aus dem Mund ihrer Politiker etwas erfahren ist, was passiert, wenn es wirklich zum Grexit kommt. Hier gibt es offenbar keinen Plan. Die öffentliche Diskussion darüber gilt als Tabuthema.

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